Bestrafung mit der Schandtafel wegen Obstauflesens

Archival des Monats

Der Eintrag im Ratsprotokoll vom 29.8.1794 ist aus mehreren Gründen interessant, löst aber auch Befremden aus. Der Feldschütz wurde zusammen mit anderen öffentlichen Aufgaben im Zuge der jährlichen Vergabe der Martinidienste bestimmt. Er hatte die Aufgabe, über die Felder und Gärten außerhalb der Stadt zu wachen und einen Diebstahl dem Rat anzuzeigen. Dass er für einen gemeldeten Fall eine Art Fangprämie von 30 Kreuzer erhielt, das entsprach etwa dem Taglohn eines Handwerkers, war sicherlich ein zusätzlicher Anreiz, seinem Dienst sehr genau nachzugehen. Anders als die übrigen Martinidienste wurde der Feldschütz nicht aus der Stadtkasse bezahlt, er bekam vielmehr Naturalien von den Bürger. Wie fast alle Dienste für die Stadt, war der Feldschütz nebenamtlich beschäftigt und hatte einen anderen Hauptberuf, Fidelis Nachbauer war Bäcker.

Im Vergleich mit heute, wo viele Lebensmittel im Überfluss vorhanden sind und das Obst im Herbst 2018 häufig unter den Bäumen liegen blieb, erstaunt aber auch, wie sorgsam man früher mit dem Wenigen, das man hatte, umging und sich vor Verlust schützen musste. Franz Karl Schwarz wird dafür, dass er auf einem fremden Weinberg Obst aufgelesen hatte, öffentlich gedemütigt und somit gesellschaftlich geächtet, indem er für einen halben Tag ins Narrenhäusle gesteckt wird mit einem Schild um den Hals , dass er fremdes Obst aufgelesen hat. Die Strafe wird dadurch noch verschärft, dass er der Schuljugend zur Warnung vorgeführt wird. Auch muss der Delinquent die Prämie an den Feldschützen aus eigener Tasche bezahlen. Wo sich das Narrenhäusle befunden hat, ist heute nicht mehr bekannt.

Die Stadtratsprotokolle sind durch den großen Stadtbrand 1648 vollständig vernichtet worden, seit dem Jahr 1649/1650 sind sie aber lückenlos überliefert. Sie sind für die Geschichte Weil der Stadts die wichtigste Quelle. In den Ratsprotokollen sind alle wesentlichen Vorgänge, die Weil der Stadt betreffen, dokumentiert. Von besonderem Wert bezüglich ihrer Auswertung ist das jedem Band beigefügte Register. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung hat die Stadt in einem aufwendigen Verfahren Einbände und Papier der Stadtratsprotokolle restaurieren lassen. Seit 1985 wurden so die Bände der Jahrgänge 1649/50 bis 1823 komplett restauriert.


Transkription des Textes[1]:
 
㤠306
Der hiesige Feldschütz Fidelis Nachbauer, Beck, hat angezeigt, daß an dem verflossenen Sonntag er den hiesigen Bürger Franz Karl Schwarz morgens früh um 5 Uhr in des J. Anton Baidinger Strumpfweebers Wingart im Waldenberg angetroffen habe, wie er Obst, so der Wind heruntergejagt, aufgelesen und in die Taschen gesteckt habe. Er habe ihn auch auf der That erwischt – worauf dann solcher einige Äpfel, so er in den Händen gehabt, wieder hinweg geworfen habe. Die Leute hätten ihm auch gesagt, daß er schon mehrmalen sich sonntags in der Früh in dergleichen Felddiebereien habe blicken lassen.
Er, Schütz selbst auch, hätte ihn schon einige Mal in fremden Wingerten zur Zeit, da es Pflaumen gegeben, angetroffen und gewarnt.
Der constituirte Franz Karl Schwarz kann, daß er in diesem Wingart angetroffen, nicht läugnen, behauptet aber, daß er nur einige Aepfel aufgelesen habe, die er


[1] Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.


wieder hingeworfen. Der Schütz behauptet aber, daß er noch mehreres Obst in den Taschen gehabt habe.
Resolutum
Da Franz Karl Schwarz gegen das auf neuerlich gegebene Verboth, keinen Schaden durch Entwendung von Obst und dergleichen auf fremden Gütern zu machen, sich gröblich verfehlt habe, als sollte er
1. dem Schützen den gesetzten Anbringerlohn mit 30 xr[1] erlegen
2. Anderen zum Beyspiel, ihm aber zur Warnung, mit der Tafel, worauf geschrieben steht „Du sollst nicht stehlen“ ins Narrenhäußlein bis auf heute Abend gesperrt und die Schuljugend zu Nehmung eines Beispiels dazu hingeführt werden.
Auf inständig flehentlichstes Bitten wurde die Strafe dahin gemildert, daß auf das Täfelein geschrieben werden solle: „Du sollst kein fremdes Obst auflesen“.
Wozu die Schuljugend auf den Tanzboden zu berufen und der Constitut dazu hinzustellen, vom Herrn Stadtschultheiß aber

[1] Kreuzer


dessen Fehler zu expliziren und ihnen eine Warnung für ähnlichen Fehlern zu geben seye. Welche Strafe dann auch wirklich exequirt worden ist.“