Die gregorianische Kalenderreform im Stadtarchiv Weil der Stadt

Archival des Monats

Der in unserem Alltag omnipräsente Kalender regelt unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben, und jeder Lebensbereich ist bei näherer Betrachtung durch den Kalender betroffen. Werk- und Feiertage, Geburtstage und weitere Familienfeiern, Urlaube, Ferien, religiöse Feste, Steuertermine und Wahlen, Gedenktage bis hin zu privaten Verabredungen, Zahnarztterminen und die Müllabfuhr - ohne ein verlässliches Kalendersystem wäre all dies nicht vorstellbar. Doch wie kam es zu dem heutigen Kalendersystem, und welche Spuren sind im Weiler Archiv von dieser Entwicklung zu sehen? Dies verrät ein aus Sicht des Verfassers leider gewohnt kurzer Blick auf mehrere Archivalien des Monats Februar.

(Bestand WB – Bände Weil der Stadt: Ratsprotokoll 1650 und 1690, Pfarrarchiv Weil der Stadt: Kapuzinerchronik, Keplerbibliothek: Michael MÄSTLIN)

 

Quellenzusammenhang

Die Geschichte der Zeitrechnung und der Chronologie als historische Hilfswissenschaft gibt detailliert Auskunft über die Zeitmessung und Zeiterfassung. In diesem Zusammenhang sollen für den Februar 2023 verschiedene Archivalien bzw. kleine Ausschnitte vorgestellt werden, die über die bedeutende Gregorianische Kalenderreform und deren Auswirkungen auf Weil der Stadt Auskunft geben.

Obwohl der Mensch durch seine Körperlichkeit zeitlich nur dem Tag- und Nachtwechsel und dem daraus resultierenden Schlafbedürfnis unterworfen ist wurde die menschliche Zeitrechnung schon früh begründet. Kalendersysteme entstanden in den Hochkulturen bereits in vorrömischer Zeit und waren den Notwendigkeiten des religiösen, politischen sowie agrarischen Lebens entsprungen. So wurden in der Landwirtschaft Bezugspunkte für Aussaat und Ernte benötigt, in der Politik waren das Steuerwesen sowie die Rechtspflege auf feste Tage ausgerichtet und vor allen Dingen für das kultische Handeln der Religion waren terminierte Festtage notwendig. Um die Zeit im Form des Ablaufs von Tagen, Monaten und Jahren zu messen und das "menschliche" Jahr mit dem tropischen Jahr bzw. Sonnenjahr in Einklang zu bringen wurden zuverlässige Bezugsgrößen benötigt. Als eine regelmäßig zu beobachtende und wiederkehrende Bezugsgröße boten sich die Himmelskörper und deren tatsächliche bzw. auch scheinbare Bewegungen an. Damit war die Astronomie eine wichtige Grundlage zur Schaffung der Kalendersysteme. Die Kalendersysteme der Antike bezeichnet man als vorjulianische Kalender ehe mit dem durch Gaius Julius CÄSAR 45 v. Chr. eingeführten und nach ihm benannten Julianischen Kalender ein zuverlässiges Kalendersystem zur Verfügung stand. Der auf dem Sonnenjahr basierende Kalender setzte das Jahr auf 365 Tage und sechs Stunden an, dabei bestand das Jahr aus 12 Monaten mit je 30 oder 31 Tagen sowie einem Februar mit 28 Tagen. Die „überragenden Qualitäten“[1] des julianischen Kalenders machten diesen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zum dominierenden Kalendersystem. Allerdings hatte der julianische Kalender den Fehler, dass das Sonnenjahr tatsächlich nur 365 Tage fünf Stunden, 48 Minuten und 48 Sekunden dauerte. Was sich banal anhört hatte über die Jahrhunderte gravierende Folgen: in 128 Jahren summierte sich der „Zeitverlust“ auf fast einen ganzen Tag. Bei der durch das Konzil von Nicäa festgelegten flexiblen Datierung des Osterfestes auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond (bei auf den 21. März festgelegten Frühlingsbeginn) und der damit verbundenen Nutzung des Julianischen Kalenders ergaben sich durch die Fehler des Julianischen Kalenders über die Jahrhunderte große Verwerfungen – die Notwendigkeit zur Reform des Kalenders wurde daher bereits früh erkannt. Bereits im Hochmittelalter beschäftigen sich Kleriker wie der englische Bischof Robert GROSSETESTE oder durch Päpste eingesetzte Experten mit einer notwendigen Reform.  Diese konnte trotz zahlreicher Anläufe durch die Jahrhunderte hinweg nicht durchgesetzt werden ehe Papst GREGOR XIII. (* 7. Januar 1502; † 10. April 1585, Papst von 1572 bis 1585) die Reform in Angriff nahm.

Mit der päpstlichen Bulle "Inter gravissima" vom 24. Februar 1582 wurde die Reform verkündet. Bei näherer Betrachtung war auch der neue Kalender nicht fehlerfrei, stellte aber doch eine enorme Verbesserung dar. Stark vereinfacht gesagt ließ man zehn Tage ausfallen und wollte pro 400 Jahre drei Schalttage einsparen.

Die Einführung des Gregorianische Kalenders stieß in Europa auf große Hindernisse, die ihre Ursache in der Reformation und der Spaltung in zwei Konfessionen hatten. Während die katholischen Länder den neuen Kalender zeitnah einführten widersetzten sich die protestantischen Länder einer päpstlichen Reform. Im gemischtkonfessionellen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation traten diese Gegensätze stark hervor, und es entstand für das 17. Jahrhundert ein chaotisches Nebeneinander der beiden Kalendersysteme - so trägt der im Vertrag von osnabrück geschlossene Westfälische Friede auch zwei Daten!

Auch in Weil der Stadt machte sich die Verwirrung bemerkbar. Da das Herzogtum Württemberg unter seinem protestantischen Herzog LUDWIG der Aufforderung Papst Gregors nicht nachgekommen war hatte sich auch die kleine und ausschließlich von württembergischen Gebiet umgebene Reichsstadt Weil gegen die Annahme der Kalenderreform entschieden.

Erstmalig stoßen wir im Ratsprotokoll der Stadt Weil aus dem Jahr 1650 auf die Kalenderreform. Auf Seite 240 heißt es: „Freytag den 15. 9bris ist einem Ersamen Rath vorkommen, dass die Herren Capuziner intenioniert und vermainen, den nüwen Calender introducieren …].“ [2]

Bereits aus diesem Protokolleintrag geht hervor, dass die Ratsherren offenbar wenig begeistert vom neuen Kalender waren und den Konflikt mit Württemberg fürchteten. Wäre der neue Kalender eingeführt worden so hätte dies bedeutet, dass zwischen Weil der Stadt und seinem württembergsichen Umland neben allen Unterschieden auch noch eine Datumsgrenze entstanden wäre! Handels- und Markttage, Feiertage und Festlichkeiten – all dies wäre im Falle Weils und seines württembergischen Umlandes von einer solchen Divergenz betroffen gewesen. In weiten Teilen Europas war das 17. Jahrhundert von derartigen Verwerfungen gekennzeichnet, und es existierte zeitweillig ein bunter Flickenteppich zwischen julianischem und gregorianischem Kalender.

In der im Weiler Stadtarchiv befindlichen Kapuzinerchronik ist der Versuch der Kapuziner im Jahr 1650 die Kalenderreform einzuführen ebenfalls erwähnt: : „Es war für eine Zeit der Superior dieser Apostolischen Mission der ehrwürdige Pater Electus von Lauffenburg, ein mit nicht gewöhnlicher Gelehrsamkeit begabter Mann, der mit zwar wohlmeinenden aber ziemlich rücksichtslosem Eifer auf jede Weise darauf hinarbeitete, den neuen Gregorianischen Kalender einzuführen.“[3]  Allerdings wurde durch den Speyerer Bischof, den Electus wohl um Rat gefragt habe, in dieser Sache an den Kaiser verwiesen.

Nach der ablehnenden Haltung der Ratsherren sowie der mangelnden Unterstützung durch den Bischof konnten sich die Kapuziner nicht durchsetzen und man vertagte die Einführung des neuen Kalenders. Letztlich sollte es aber nochmals 50 Jahre dauern ehe die protestantischen Fürsten nach Intervention durch den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm LEIBNIZ den gregorianischen Kalender annahmen. Auch Württemberg und Weil der Stadt übernahmen ab diesem Zeitpunkt den neuen Kalender – für Weil ist die Übernahme im Ratsprotokoll vom 2. bzw. 12 Februar 1700 vermerkt – der Ratsschreiber notierte an diesem Tage erstmalig das „neue" Datum, für eine ganze Zeit wurden „altes“ und „neues“ Datum in den Protokollen parallel geführt.

Wie bereits eingangs erwähnt war die Astronomie die für die Kalendersysteme grundlegende Wissenschaft – und natürlich beschäftigte sich auch der berühmteste Weiler Sohn Johannes KEPLER mit Fragen des Kalenders. Kepler gehörte zu den protestantischen Gelehrten, die im Laufe des 17. Jahrhunderts den neuen Kalender trotz der Einführung durch den Papst unterstützen: „So befürwortete Kepler die Annahme [des gregorianischen Kalenders] nachdrücklich.“ [4]

In der Werkausgabe Keplers verzeichnet Band 21 der gesammelten Werke zahlreiche Schriften Keplers, in denen er sich mit der Kalenderreform auseinandersetzt. Darunter neben einigen Briefen auch ein „Gespräch von der Reformation des alten Calenders“, in der Kepler in der Form eines fiktiven Streitgesprächs  eine sachliche Diskussion zu den anstronomischen gegebenheiten und konfessionellen Auswirkungen versucht. Weiterhin ist ein in seiner Funktion als kaiserlicher Hofmathematiker erstelltes Gutachten aus dem Jahr 1607 zur Kalenderreform erhalten: „Was die römisch Kayserliche Majestät an die drey Churfürsten Augspurgischer Confession, belangend das Kalenderwesen, fruchtbarlich gelangen lassen möge.“[5]

Auch Keplers einstmaliger Lehrer MÄSTLIN ist im Stadtarchiv Weil der Stadt mit einer interessantens Ausgabe eines Werks zur Kalenderreform vertreten.

Im Bestand der Kepler-Bibliothek verfügt das Stadtarchiv Weil der Stadt über eine wertvolle und ansprechende Erstausgabe des durch Mästlin im Jahre 1583 erschienenen „Außführlichen und gründtlichen Berichts von der allgemainen und nunmehr bey sechtzehen hundert Jaren von dem ersten Keyser Julio biß auff jetzige unsere Zeit im gantzen H. Römischen Reich gebrauchter Jarrechnung oder Kalender ".

Mästlin zeigt sich in diesem Werk im Unterscheid zu seinem ehemaligen Schüler Kepler sehr skeptisch gegenüber der Kalenderreform, allerdings weniger aufgrund der astronomischen Begebenheiten als vielmehr aus Ablehnung der päpstlichen Autorität.

 

Literatur im Stadtarchiv Weil der Stadt zur Kalenderreform

Brincken, Anna-Dorothee von den. 2000. Historische Chronologie des Abendlandes: Kalenderreformen und Jahrtausendrechnungen ; eine Einführung. Stuttgart ; Berlin ; Köln: Kohlhammer.

Grotefend, Hermann. 1982. Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. 12. Aufl. Hannover: Hahn.

Lenzenweger, Josef: Die Kalenderreform und Johannes Kepler. – Seite 2 bis 12. Berichte und Mitteilungen Heimatverein Weil der Stadt, Ausgabe Nr.2/3, 1972

Kepler, Johannes. 2002. Manuscripta astronomica (3). De calendario Gregoriano. Manuscripta mathematica. Bd. 21,1. Gesammelte Werke. München: Beck.

Mästlin, Michael: Außführlicher und gründtlicher Bericht von der allgemainen und nunmehr bey sechtzehen hundert Jaren von dem ersten Keyser Julio biß auff jetzige unsere Zeit im gantzen H. Römischen Reich gebrauchter Jarrechnung oder Kalender : in was Gestalt er anfänglich gweßt und was durch länge der Zeit für Irthumb dareyn seyen eyngeschlichen ; item ob und wie er widerumb ohn merckliche verwürrung zu verbessern were

 

Fußnoten

[1] Brincken, Anna-Dorothee von den. 2000. Historische Chronologie des Abendlandes: Kalenderreformen und Jahrtausendrechnungen ; eine Einführung. Stuttgart ; Berlin ; Köln: Kohlhammer. – Seite 29

[2] Bestand Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand WB Ratsprotokoll von 1650, Seite 240

[3] Monimenta Archivii Wilerstadiensis ex Provinciae Manuscriptis desumpta, atque fideliter in latinam translate genannt “Kapuzinerchronik”, Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand Pfarrarchiv Manuskripte, Signatur 2.15.2, .- Seite 42

[4] Brincken, Anna-Dorothee von den. 2000. Historische Chronologie des Abendlan-des: Kalenderreformen und Jahrtausendrechnungen ; eine Einführung. Stuttgart ; Berlin ; Köln: Kohlhammer..- Seite 34

[5] Kepler, Johannes. 2002. Manuscripta astronomica (3). De calendario Gregoriano. Manuscripta mathematica. Bd. 21,1. Gesammelte Werke. München: Beck. – Seite 423