Einweisung der Maria Magdalena Schuh in die Irrenanstalt Winnenden

Archival des Monats

Die Archivalien des Kirchenarchivs St. Peter und Paul sind als Depositumbestand seit Juli 2005 im Stadtarchiv Weil der Stadt untergebracht. Der Bestand ist grob geordnet, der größte Teil der Archivalien ist verzeichnet. Eigentümer des Kirchenarchivs ist die Kirchengemeinde, der Bestand wird aber im Stadtarchiv archivarisch erschlossen und betreut, Depositumbestände stehen den interessierten Benutzern des Stadtarchivs zur Verfügung. Der Kirchenkonvent ist eine württembergische Besonderheit, der 1642 eingeführt wurde, um die Zucht und Ordnung, die im dreißigjährigen Krieg sehr gelitten hatte, wiederherzustellen. Die neuwürttembergischen Gebiete, also auch die Reichsstädte, führten den Kirchenkonvent nach 1803 ein. Das galt auch für die katholischen Gebiete. Der Kirchenkonvent wurde 1891 abgeschafft.

Den Vorsitz im Kirchenkonvent hatten Schultheiß und Pfarrer als weltliche und geistliche Vorstände der Gemeinde, neben ihnen stimmten gewählte Beisitzer ab. Aktenführende Stelle war die Kirchengemeinde, die Aufsicht über den Kirchenkonvent hatte das Konsistorium (für die evangelischen Gemeinden) und der Katholische Kirchenrat bzw. als Zwischeninstanz das Dekanat.  Der Kirchenkonvent traf sich einmal im Monat, verhandelt wurden vor allem Verstöße gegen die kirchliche Ordnung und gegen die geltende Sexualmoral. Der Kirchenkonvent verfügte über ein Sanktionsinstrumentarium, er konnte Ermahnungen, Geldstrafen oder auch kurze Gefängnisstrafen verhängen. Am häufigsten wurde gegen unverheiratete junge Frauen verhandelt, die schwanger geworden waren. Zum einen galt es, die Sexualmoral zu bewahren, genauso wichtig war aber auch, den Vater des Kindes, der meist nicht bestraft wurde, namhaft zu machen, um die illegitime Verbindung doch noch in eine Ehe zu überführen. Damit sollte das Risiko, dass durch ein unversorgt aufwachsendes Kind die Gemeinde unterstützungspflichtig werden könnte, gemindert werden. Oft wurden, gerade in Weil der Stadt, auch Verstöße gegen die Sonntagspflicht oder gegen die Disziplin während des Gottesdienstes sowie gegen das Verbot der Sonntagsarbeit verhandelt.  Wie konsequent dagegen vorgegangen wurde, lag immer auch an den handelnden Personen: Weil der Stadt hatte in den 1820er und 1830er Jahren mit Pfarrer Mielinger einen Geistlichen, der besonders streng auf die Einhaltung der Vorschriften den Kirchenkonvents achtete.



Transkription[1]:
 
„Notizen über die ledige M. Magdalena Schue behufs ihrer Wiederherstellung in der Irren-Anstalt zu Wennenden
 
Maria Magdalena Schuh, Tochter des [verstorbenen] Bürgers und Zeugmachers Johannes Schue und der [verstorbenen] Anna Maria geb. Wolf wurde laut den hiesigen Kirchenbüchern geboren 1813 den 23ten Januar. Sie besuchte die Elementarschule dahier vom Jahr 1819 bis 1826 und erwarb sich bey großem Fleiße und guten Sitten in allen Fächern die Note gut. Im 19ten Lebensjahre kam sie nach Heilbron in Dienst, wo sie 6 Jahre bei einer Herrschaft im Gasthof Rößle verblieb und sich durch geordnetes Betragen deren Zufriedenheit erwarb. Inerhalb dieser Zeit litt sie lange an Flechten, welche sich an den Händen zeigten, - gegen 3 Jahre -, kam um sie desto leichter heilen zu können vor 2 Jahren nach Hause, blieb dahier ½ Jahr und gieng, ohne geheilt zu seyn, nach Mühlhausen im Elsaß wieder in einen Dienst, wo sie selbst diese Krankheit durch Waschen mit KleienSaifen und dergleichen heilte. Sonst war sie nie krank.
Bey ihrem 2ten Dienstherrn in Mühlhausen, bei welchem sie circa ½ Jahr verblieb, zeigten sich Spuren von Niedergeschlagen

[1] Buchstabengetreue Umschrift, Groß- und Kleinschreibung sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantverdoppelungen ausgeschrieben.


heit, Traurigkeit und Vergeßlichkeit. Während sie früher viel auf Kleider hielt, war sie jetzt gleichgültig, bleib immer zu Hause, wo sie sich viel mit Bücherlesen - oft halbe Nächte – beschäftigte. An den Sontagen war sie meistens in der Kirche und auch ihre Gespräche mit ihren daselbst ebenfalls in Diensten stehenden Geschwistern waren nur religiösen Inhalts. Im Jahre 1830 verrichtete sie ihre österliche Beicht und Communion, beichtete 2 mal in einer Woche, wo sie dan das letzte Mal ganz verwirt nach Hause kam. Von diesem Tage an redete sie nichts mehr mit ihrer Herrschaft, eilte stets der Kirche zu statt zu arbeiten, aß fast nicht, schenkte ihr schönstes Kleid einer armen Frau, und dergleichen, so daß ihre Herrschaft sie nach einigen Tagen entlassen mußte. 14 Tage behielt sie ihre Schwester bey sich daselbst, in der Hoffnung, daß sie durch ärztliche Hilfe, Aderlassen, wieder hergestellt werden könnte, allein, da sie vergebens war, begleitet sie ihr Bruder in ihre Heimath, wo sie nach ein Recept von dem Doctor in Mehlhausen udn Arzney mitbrachte. Auf der Herreise bemerkte der Bruder, daß sie wenn (?) sie an einer Kirche vorbeifuhren, mit Gewalt in dieselbe gehen wollte. Wenn sie glaubt, einen Geistlichen zu sehen, sey sie niedergekniet, ohne jedoch was zu reden. So kam sie am 25. Merz vorigen Jahres hier an. Herr Unteramtsarzt Dr. Eble nahm sie in Behandlung. Ihre Rede den ganzen Tag über war blos: „ach, ja, nein“, ließ ihre Nägel an den Händen
wachsen, bis sie nach ¼ Jahr mit Gewalt ihr abgeschnitten wurden. In den 1ten zwei Monaten ihres Hierseyns war sie zur Nachtzeit ruhig und schlief meistens; später aber war sie auch da unruhig, stand öfters auf, fluchte über eine Person, die ihr die Ruhe nahm, ohne sie zu nennen. Auch eilte sie im Anfang, so oft sie läuten hörte, in die Kirche, weilte besonders gerne in der Heilig Creuz Capelle, wohin sie Brod, Strümpfe trug. Das neue Testament und [...] (?), trug sie bei sich, las oft darin, wollte auch öfters damit andern ein Präsent machen. Wie aber die warme Jahreszeit eintrat, wollte sie immer fort in einen Dienst und als natürlich ihr dieses nicht gestattet wurde, entwich sie im Juli 1839 und lief in einem Tage bis nach Laufen am Nekar, wo sie durch Landjäger aufgefangen und heimtransportiert wurde. Von dieser Zeit an mußten ihre Geschwister sie ha[l]ten, weil sie immer wieder nach Heilbron oder Mühlhausen wollte, war stürmisch in ihrem Benehmen gegen ihre Geschwister. Ihre Beschäftigung war Nähen und Striken, ohne aber Ordnung darin wahrzunehmen, legt sich auch oft bei Tage ins Bett oder nähete in demselben. So blieb es auch im verflossenen Winter. Hin und da in guter Laune, aber meistens in übler, stets still, blos „ach, ja, nein, so ist es nicht“ sprechend, bald lachend bald weinend. Im Frühling des Jahres schien es sich zu bessern, gab auch auch auf Fragen meist sehr passende Antworten, gieng aus dem Hause auf das Feld spaziere, holt Vesper, verrichtete auch ihre österliche Beicht und Communion, jedoch war dieses von kurzer Dauer. Seit Pfingsten ist sie sehr bösartig, will nur fort nach Mühlhausen, bestürmt auch schon öfters den Ortsvorstand wegen eines Passes, flucht über ihre Geschwister, welche denselben ihr entwendet haben sollen, soweit sie ihn ent[...](?), läßt ihnen Tag und Nacht keine Ruh, bethet nicht mehr, die Geschwister müssen oft in Acht sich nehmen, daß sie nicht mißhandelt werden. [...](?) sie die ganze Nacht wegen ihres Paßes, wodurch diesen das fernere Zusammenleben mit der Magdalena eine unerträgliche Last wird.“


Dem wohllöblichen katholischen Stiftungsrath
beehrt sich unterzeichnete Stelle hiemit anzuzeigen, daß die zur Aufnahme in hiesige Heilanstalt angemeldete Magdalena Schuh von jetzt an hieher gebracht werden kann, ohne daß die Beibringung einer weiteren Urkunde über Versicherung der Verpflegungskosten für jetzt mehr nötig wäre.
Womit sich [etc] [etc][1]
Winenthal, 30. September 1840
Direction der Königlichen Heilanstalt
Zeller"
[1] Abkürzung im Briefverkehr zwischen gleichrangigen Behörden für „womit sich Unterzeichneter (hochachtungsvoll) empfiehlt“. Gebräuchlicher ist die Grußformel am Schluss eines Behördenbriefs „sich damit“ = „sich damit (hochachtungsvoll) empfehlend"