Festschrift Nagoldgau Liederfest 1911

Archival des Monats

Interessante Informationen über die Tradition der Weiler Gesangvereine bietet aus der Archivbiliothek eine im Jahr 1911 erschienene Festschrift. Aber auch über die Sangesgeschichte hinaus sind einige aufschlussreiche kleine Einblicke ins Weil des frühen 20. Jahrhunderts möglich.

Festschrift Nagoldgau-Liederfest 1911

 

(Bestand Archivbibliothek – Neue Abteilung Signatur E12)

 

Quellenzusammenhang

Im Bestand der Archivbibliothek befinden sich zahlreiche Vereinsfestschriften. In der Regel werden diese aufgrund ihres kleinen Formats als so genannten „Kapselschriften“ im Bibliotheksbestand verwahrt.

Für das Archivale des Monats April soll die älteste Festschrift dieses Bestands vorgestellt werden. Dabei handelt es sich um eine im Jahr 1911 anlässlich des VI. Nagoldgau-Liederfests in Weil der Stadt erschienene Festschrift. Herausgegeben wurde diese Festschrift durch den Presse-Ausschuss des Gesangsvereins Sängerbund, im Titel wird die Festschrift zugleich als „Führer durch Weil der Stadt, durch dessen Kunst- und Kirchen-Schätze sowie durch das Altertums-Museum“ bezeichnet.

Gedruckt wurde das Heft von Julius RAETH, der Preis betrug 20 Pfenning.

Die hier vorgestellte Festschrift bietet einige interessante Einblicke in das Weil der Stadt des frühen 20. Jahrhunderts. Neben dem eigentlichen Anlass des Liederfests wurde auch die neu gegründete Altertümersammlung in dieser Festschrift beschrieben. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der damaligen Stadtschultheiß Hugo BEYERLE (*10.11.1852, † 27.05.1919, Stadtschultheiß von 1875 - 1918) Maßnahmen ergriffen um an die Geschichte der Stadt zu erinnern. Vor diesem Hintergrund nutzte man die Festschrift um die neu gestalteten Ausstellung zu bewerben. Hauptzweck der Festschrift war aber natürlich Informationen über Ablauf und Programm des Liederfestes zu liefern.

Im Jahre 1835 wurde in Weil der Stadt der Männergesangverein Frohsinn gegründet, im Jahre 1894 folgte mit dem Gesangverein Sängerbund ein zweiter Gesangverein in Weil der Stadt. Bis 1919 bestanden sowohl der Männergesangverein Frohsinn als auch der Gesangverein Sängerbund parallel zueinander ehe sich beide Vereine zum neuen Männergesangverein Weil der Stadt zusammenschlossen. Allerdings gründete sich bereits 1926 mit dem Arbeitergesangverein Frohsinn ein neuer Verein so dass wiederum zwei Gesangvereine in Weil bestanden – das Singen im Chor erfreute sich in dieser Zeit großer Beliebtheit und stellte neben ebenfalls „alten“ Vereinen der Turnerbewegung und den zunehmend aufkommenden Fußballvereinen eine der wenigen „Freizeitbeschäftigungen“ dar.  Erst 1965 vereinigten sich die beiden Gesangvereine endgültig zur neuen Chorvereinigung Weil der Stadt, die als gemischter Chor bis in heutige Zeit besteht.

Im Jahr 1911 richtete der Gesangverein Sängerbund am Sonntag, den 18. Juni das Nagoldgau-Liederfest aus. Der Weiler Sängerbund war seit 1903 im 1897 in Liebenzell gegründeten „Nagoldgau-Sängerbund“ Mitglied. Dem „Strohgäusängerbund“ als Vorläufer des späteren Kepler-Gaus und heutigen Chorverbands Johannes Kepler traten die Weiler anscheinend erst nach dem Zweiten Weltkrieg bei – zuvor hatte man sich offenbar lieber in Richtung Nordschwarzwald orientiert.

Der berühmte „Bauerndichter“ Christian WAGNER hatte ein zu Beginn der Festschrift stehendes Gedicht „Zum Sängerfeste“ beigesteuert, ehe auf den folgenden Seiten kurz die baulichen Besonderheiten Weils sowie ein dreiseitiges Kapitel über die „Urkunden- und Altertümersammlung“ anschließen.

Die teilnehmenden Vereine wurden in die „Gauvereine“ des Nagold-Gaus sowie in die Gastvereine aus dem Strohgäusängerbund unterteilt. Darunter waren auch benachbarten Vereine wie Merklingen, Renningen oder Maichingen und Großsachsenheim teil.  Weiterhin wurde beim Wettgesang in „niederen“ und „höheren“ Volksgesang unterschieden – der Weiler Sängerbund trat mit 29 Sänger unter seinem Dirigent Ernst SCHÜSSLER in der Kategorie „Niederer Volksgesang“ mit dem Lied „König Lenz“ an. Die Concordia aus Calw mochte es in der Kategorie „Kunstgesang“ etwas martialischer und präsentierte das Lied „Soldatentod“.

Die Feierlichkeiten des Liederfests begannen um 05 Uhr morgens mit einer Tagwache, ehe ab 07 Uhr die auswärtigen Vereine und Festgäste empfangen wurden. Ab 09 Uhr begann das Wettsingen, nach dem Mittagessen wurde ein Festzug zum Festplatz abgehalten. Auf dem Festplatz wurde der Tag dann mit weiteren Gesängen, einem „Massenchor“ (Lied „Die Heckenröslein“ des schwäbischen Komponisten und Chroleiters Wilhelm NAGEL) sowie geselligem Beisammensein und der Preisverteilung beschlossen. Am Montag, den 19. Juni gab es am Nachmittag nochmals eine Versammlung sowie einen Zug zum Festplatz, allerdings nur von den Weil der Städter Sängern.

Es wurde ein Festausschuss mit verschiedenen „Unterausschüssen“ gegründet, jeder einzelne Ausschuss trug eine Festrosette mit eigner Farbgebung. Der Fest-Ausschuss selbst trug eine blau-weiße Rosette und bestand aus Stadtschultheiß Hugo BEYERLE, Vorstand Theodor KOHLER, Hauptlehrer Ernst SCHÜSSLER, Schriftführer Paul SCHÖNINGER und Kassier Rudolf SCHÖNINGER. Daneben bestanden die Unterausschüsse Presse, Finanzen, Wirtschaft, Festdamen, Vergnügung und Dekoration.

Die Anzeigen der Festschrift verweisen auf zum Teil noch heute bekannte, zum Teil aber der Mehrzahl der heutigen Einwohner vermutlich völlig unbekannte Gewerbe- und Handwerksbetriebe Weil der Stadts und Umgebung.

So warb Bäckermeister Ernst SCHIROTT aus der Stuttgarter Straße für seine Nudelfabrikation.

Der von Apotheker Karl MEHLTRETTER hergestellte und über Hopfenhändler PFLAUM vertriebene „Apfelmostersatz“ dürfte jedem schwäbischen Mostliebhaber vermutlich eher sauer aufgestoßen sein – welches pharmazeutische Geheimnis sich hinter dieser „Billigware“ verbarg lässt sich der Werbeanzeige nicht entnehmen.

Um die im Festprogramm vorgesehene „geselligen Unterhaltung“ zu beleben warb Theodor KAPPLER für den durch ihn direkt am Festplatz verkauften „Kessler Sekt“ – die Zuckerbäckerei KAPPLER befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich im Haus Marktplatz Nummer 362 – heute besser bekannt als Kepler- Haus und heutiges Kepler-Museum in der Kepler-Gasse 2.

Auch Max SCHÖNINGER im  Haus zur Schönfarb schaltete eine Anzeige für sein Textilwarengeschäft in der damaligen  Stuttgarter Straße 230 . Das Haus zur Schönfarb hat seinen Namen von einer dort im 18. Jahrhundert betriebenen Färberei.

Neben den hier vorgestellten Werbeanzeigen sind beim Durchblättern der Festschrift noch viele weitere interessante Anzeigen zu entdecken, auch könnten sicherlich noch interessante Informationen über die beteiligten Personen und Chöre ermittelt werden.