Franzosenfurcht 1796, Flucht aus der Stadt

Archival des Monats

Wenn Soldaten vor den Toren Weil der Stadts auftauchten oder auch nur in der Gegend waren, versprach dies für die nahe Zukunft nichts Gutes. Und es war zweitrangig, ob es sich um befreundete kaiserliche Truppen oder um feindliche Heere handelte: In beiden Fällen hatte die Stadt hohe finanzielle Lasten zu tragen, die sie an den Rand des Ruins führte.

Kamen die eigenen Soldaten der kaiserlichen Koalitionsarmee an der Stadt vorbei, dann war zu befürchten, dass man sie in der Stadt ins Quartier nehmen und auf eigene Kosten verköstigen musste. Nicht viel anders war dies im Fall der französischen Revolutionstruppen: Da die Mittel zur Kriegsführung erschöpft waren, bestand die Taktik Frankreichs im Kriegsjahr 1796 zum Teil darin, seine Armeen im Feindesland zu ernähren, höchstmögliche Kontributionszahlungen zu erzielen und möglichst viel Beute zu machen. Da die kaiserlichen Truppen die Reichsstadt nicht schützen konnten, waren sowohl die Bürger als auch der Magistrat auf sich allein gestellt. Manche Bewohner flüchteten aus der Stadt, vor allem junge Männer, weil das Gerücht umging, dass die Franzosen die jungen Leute mitnahmen und als Soldaten für ihre Armee zwangsverpflichteten. Der Magistrat versuchte in Verhandlungen mit den französischen Generälen das Schlimmste zu verhüten und erreichte eine Milderung der Kontributionen.
Um der Flucht aus der Stadt gegenzusteuern, drohte der Magistrat den Fluchtwilligen hohe Strafen an, Passierscheine wurden nicht mehr ausgegeben und den bereits Geflüchteten wurde die Rückkehr in die Stadt befohlen.


Die Stadtratsprotokolle sind durch den großen Stadtbrand 1648 vollständig vernichtet worden, seit dem Jahr 1649/1650 sind sie aber lückenlos überliefert. Sie sind für die Geschichte Weil der Stadts die wichtigste Quelle. In den Ratsprotokollen sind alle wesentlichen Vorgänge, die Weil der Stadt betreffen, dokumentiert. Von besonderem Wert bezüglich ihrer Auswertung ist das jedem Band beigefügte Register. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung hat die Stadt in einem aufwendigen Verfahren Einbände und Papier der Stadtratsprotokolle restaurieren lassen. Seit 1985 wurden so die Bände der Jahrgänge 1649/50 bis 1823 komplett restauriert.



Transkription[1]:
 
Sicherung von Registratur und Archiv
 
„Weil der Stadt auf dem Rathhaus, den 30. Juni 1796
Vor hochedlem Magistrat
Wegen durch das Vordringen der Franzosen über Kehl in die Kreises Lande sich auch hiesiger Stadt annähernder Gefahr, zumal dem Vernehmen nach solche mit einem Flügel an Rastadt, mit dem anderen aber an der Bergstraße stehen sollen, wird anheute Rath gehalten, welche Sicherheitsregeln wohl zu treffen seyn möchten?

[1] Buchstabengetreue Transkription, die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung sind dem heutigen Gebrauch angepasst, allgemein verständliche Abkürzungen ausgeschrieben, sonstige Abkürzungen und Textergänzungen in eckigen Klammern



Resolutiones[1]
1. Es sollen 2 Personen namens der Stadt abgesendet werden, um sich nach Rastadt zu begeben und sich auf Kundschaft zu verlegen, welche alsdann von dem weiteren Vordringen des Feindes oder dessen Rückzug sichere Nachricht zu geben hätten.
Diese Personen sind Herr Senator Johannes Berner
Andreas Siegle, Chirurgus, ledig.
2. Solle das Archiv in das Stadt-Kanzlei-Gewölb gebracht und von löblichem Bauamt eine Anzahl Bürger zu Hinwegtragung der Kästen vom Rathaus dahin beordert werden.
3. Die beiden Piis corporibus[2] und den Stadtcassen vorräthigen Gelder samt den Rechnungen und Schriften, welche solche Cassen betreffen, sind in das Kirchengewölb zu bringen.“
 
Strafmaßnahmen gegen fluchtwillige Bürger
 
„Geschehen Weil der Stadt auf dem Rathhause den 4. Juli 1796, abends 8 Uhr
Außergewöhnliche Sitzung
                                                           § 199
Da die Anzeige von der Kanzlei gemacht worden, daß auf die eingegangene Nachricht von dem Einzug der Franken in Freudenstatt selbige schier um Pässe bestürmt

[1] Beschlüsse
[2] Kirchenpflegrechnungen


wurden und daß ledige Leuthe sowohl als junge Männer sich flüchten wollten aus Ursache, weil es heiße, die Franzosen nehmen die junge Mannschaft auch zum Kriegsdienste mit sich – wurde Rathsversammlung gehalten und in Umfrag gestellt, ob Pässe noch ferner ausgestellt werden dürften
Resolutum
Sollen keine Pässe mehr ausgetheilt werden.“
 
„Actum Wilae in Curia dienstags den 5. Juli 1796 morgens 7 Uhr vor hochedlem Rath:
§ 200 
Resolutiones
1. Da die Müller nimmer malen wollen und sich auch auf die Flucht zu begeben gedenken, so solle ihnen bei Verlust ihres Bürgerrechts und Dienstes angesagt werden: zu malen und sich nicht aus der Stadt zu begeben.
Wegen sich immer mehr annähernder Feindesmacht sollen
2. Zwei Abgeordnete nach Calw und Revier abgesandt werden, um sich auf Kundschaft zu verlegen und immer Nachricht zu ertheilen, besonders im Falle, da die Gefahr größer werden würde, zu welchem Ende sie sich mit dem löblichen Oberamt in Calw in Einvernehmen zu setzen hätten.


Diese Deputierte sollen seyn:
Herr Anton Wolf
Burkhard Eble, Chirurgus
3. Zu Abhaltung alles liederlichen Gesindels und verdächtiger Personen sollen Bürgerwachen unter die Thore gestellt, die großen Thore geschloßen und solchen commitirt werden, alles genau fahnden, wofern etwa etwas Verdächtiges unterlaufen, vor den Thoren sich große Haufen Leuthe sammeln oder sonst noch gar bedenklichere Dinge unternehmen sollten. Zu welchem Ende auch die Pässe zu  visitiren seyen. Das Detaile dieser Einrichtung ist dem Herrn Stadthauptmann Beyerle und Stadtwachtmeister Schäfer zu überlassen.
4. Solle durch den Tambour ausgetrommelt werden, daß die sämmtliche Bürgerschaft sich um 10 Uhr auf dem Rathhaus bei 50 Reichsthaler Strafe einfinden sollen, damit die Namen der doch Anwesenden aufgezeichnet und ihnen ebenfalls bei 50 Reichsthaler Strafe oder empfindlicher Leibes-Strafe untersagt werden könne, sich aus dem Ort zu entfernen.
                                                           § 201
Es erscheint Carl Grein, Bürger und Zeugmacher, und bittet, seinen Bruder Corneli Grein, Färber, der mit geflüchteter Mobiliarschaft im Stuttgardter Wald aus Mangel


eines Passes angehalten worden, doch einen Paß auszustellen.
Resolutum:
Rund abgeschlagen. Sondern solle er seinem Bruder wissen lassen, daß er bei 50 Reichsthaler Strafe sogleich wieder umkehren solle.
Publ. in continenti eodem[1]“
 
                        Erfassung der Geflüchteten und Fluchtwilligen
 
„Geschehen sub eodem[2] morgens 10 Uhr
                                                           § 202
Zufolge der ehrsamen Rathsschlüsse de hodierno[3] wurde ein Durchgang unter der Bürgerschaft gehalten und waren anwesend Sämmtliche, nur mit Ausnahme folgender:
1. Josef Anton Baidinger, Strumpfweber; ist samt der Frau auf der Flucht
2. Wendel Decker, Metzger, dito
3. Dagobert Gall, deßgleichen
4. Corneli Grein, deßgleichen
5. Jung Johannes Schöninger, Schuster
6. Anton Schöninger, Schuster
7. Thomas Wolf, Rothgerber
8. David Wolf, Bierwirth
9. Michel Wolf, Zeugmacher
Diesen wurde sodann obiges Raths-Resolutum, daß nämlich kein Bürger bei Strafe von 50 Reichsthaler oder einer empfindlichen Leibsstrafe sich aus dem Ort entfernen solle, publicirt.“

[1] Unmittelbar an dieser Stelle veröffentlicht
[2] Unter demselben Datum
[3] Von heute