Gedenkbuch der ehemaligen schwäbischen Reichsstadt Weil

Archival des Monats

Im Bestand der Sammlungen des Stadtarchivs findet sich ein bemerkenswertes Gästebuch mit interessanten Einträgen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Quellenzusammenhang

Nachdem sich die Weil der Städter 1802 schweren Herzens mit dem Verlust ihrer Reichsfreiheit abfinden mussten waren sie im 19. Jahrhundert zusehends stolz auf ihre reichsstädtische Geschichte sowie ihren berühmten Sohn Johannes KEPLER – die (wenn auch fehlerhafte) „Kleine Chronik Weils“ von Siegmund Friedrich GEHRES sowie die großen Bemühungen um die Erstellung des Kepler-Denkmals sind eindrückliche Beispiele dafür. Auch zu Beginn des 20. Jahrhundert unternahm der damalige Stadtschultheiß Hugo BEYERLE (*10.11.1852, † 27.05.1919, Stadtschultheiß von 1875 - 1918) Anstrengungen um an die Geschichte der Stadt zu erinnern. Im April 1910 wurde daraufhin im Rathaus die städtische „Urkunden u. Altertumssammlung“ feierlich eröffnet. In seinem Vorwort zur Ausstellungseröffnung beschreibt Beyerle die Ausstellungsgegenstände und verweist auf den glücklichen Umstand, dass an verschiedenen Orten einige Dokumente entdeckt wurde, die den Stadtbrand von 1648 überdauert hatten. Zahlreiche der von Beyerle aufgeführten Unterlagen sind heute im Stadtarchiv verwahrt. Nachdem die Ausstellungsräume im Rathaus im April 1910 eröffnet worden waren besuchte der württembergische Geschichts- und Altertumsverein am 22. Mai 1910 die Ausstellung. Von diesem Besuch ist ein ausführlicher Bericht, ergänzt um einige Reden der bei diesem Termin zahlreich anwesenden Honoratioren, im Buch abgedruckt. Darauf folgen zahlreiche Leerseiten, die für Eintragungen der Besucher genutzt wurden.

Das Buch übernimmt die Funktion eines „Gästebuchs“, in das sich die Besucher der Ausstellung eintrugen. Der erste namentliche Eintrag einer „Bertha von Bülow, Schloss Dätzingen“ datiert vom 03. August 1910. Bertha von BÜLOW war die Ururenkelin Carl von DILLENS, jenes „Emporkömmlings“ der das früher dem Johanniterorden gehörende Dätzinger Schloss 1809 durch den württembergischen König Friedrich übertragen bekommen hatte.

Der letzte Eintrag des Buches – es fungierte in der Zwischenzeit auch als „Gästebuch“ der heimatkundlichen Ausstellung im Storchenturm sowie dem darauffolgenden „neuen“ Stadtmuseum am Marktplatz -  datiert auf den 11. Oktober 1987 und stammt von Franziska ROMMEL aus Chico/Kalifornien. Es ist davon auszugehen, dass die letzte Hüterin des Gedenkbuches (ehe es auf nicht mehr nachvollziehbaren Wegen ins Stadtarchiv gelangte) Frau Antonie ALBINGER war.

In den Jahrzehnten zwischen 1910 und 1987 verewigten sich zahlreiche Besucherinnen und Besucher. Dabei finden sich unter den Besuchern neben den zu erwartenden typischen Namen verschiedener Bürger aus Weil der Stadt sowie der näheren Umgebung (viele Gäste aus Pforzheim trugen sich ein) auch zahlreiche mehr oder weniger prominente historische Personen aus Kultur, Politik und Gesellschaft, vorwiegend aus Südwestdeutschland, aber auch aus dem Ausland.

Im Folgenden sollen in willkürlicher Auswahl einige interessante Persönlichkeiten, die anfangs des 20. Jahrhunderts den Weg nach Weil der Stadt fanden und sich im „Gedenkbuch“ eintrugen, vorgestellt werden.

Herzog Ulrich von WÜRTTEMBERG

*13. Juni 1877 in Gmunden; † 13. Juni 1944 im Schloss Altshausen. Er besuchte am 05. September 1910 Weil der Stadt. Ulrich war der jüngere Bruder des potentiellen württembergischen Thronfolgers Albrecht Herzog von Württemberg. Er machte Kariere im württembergischen Militär. Zum Zeitpunkt seines Besuchs in Weil der Stadt war Ulrich Kommandeur des Ulanen-Regiments „König Wilhelm I.“ (2. Württembergisches) Nr. 20 in Ludwigsburg. Mit ihm besuchten noch zwei weitere Offiziere des Ulanen-Regiments die Ausstellung.

Anton LAUMAYER

*22.01.1861 in Weil der Stadt; † 01.10.1937 in Ulm. Er war Großkaufmann in Ulm, Mitglied des Handelshauses Ulm und betrieb dort einen Eisen-, Stahl- und  Messinggroßhandel. Laumayer wurde am 28.01.1931 zum Ehrenbürger von Weil der Stadt ernannt. Sein Besuch in Weil datiert vom 18. September 1910.

Rennwart von WOELLWARTH-LAUTERBURG

* 29.01.1879; † 04.05.1939

Die Adelsfamilie Woellwarth war damals wie heute auf dem Schlosst Hohenroden, gelegen zwischen Essingen und Lautern ansässig. Rennwart diente als Major beim württembergischen Militär und besuchte Weil am 3. Juni 1912.

Otto LEUZE

* 30. August 1881 in Wolfschlugen† 27. April 1931 in Stuttgart

Dr. Otto Leuze war Oberbibliothekar an der württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart, er verfasste einige landeskundliche Schriften und dürfte auch berufliches Interesse an der Weiler Altertumssammlung gehabt haben. Am 08. Juni 1913 trug er sich in das Gedenkbuch ein.

Oskar ELSÄSSER

 * 11. September 1885 in Wangen im Allgäu; † 16. November 1965 in Pforzheim

Oskar Elsässer wuchs als Sohn des Pfarrers Hermann Elsässer im benachbarten Malmsheim auf. Er erlangte als Zeichner/Maler und Grafiker einige Bekanntheit und lebte und wirkte in Pforzheim. Von ihm sind im Bestand des Stadtarchivs Weil der Stadt einige Werke zu finden. Seine realistischen Darstellungen sind neben dem künstlerischen Wert auch von historischer Bedeutung, da sie Ansichten längst vergangener und auf keine andere Art überlieferten Motive bieten. Elsässer besuchte Weil häufiger, sein Eintrag ist auf den 02. August 1913 datiert.

Eugen HARTMANN

* 26. Mai 1853 in Nürtingen, Württemberg; † 18. Oktober 1915 in München

Hartmann schrieb bei seinem Besuch 4. Oktober 1913 einen kleinen Eintrag ins das Buch, in dem er seine Verehrung für Johannes Kepler ausdrückte. Der Elektrotechniker und spätere Professor und Dr. Ing. betrieb zu dieser Zeit die Firma Hartmann und Braun in Frankfurt/Main.

Ernst BAUER

*21. September 1847 auf dem Elfingerhof bei Maulbronn, † 02. Juni 1931 in Renningen

Bei der Bevölkerung des Oberamtes Leonberg hoch angesehener Wundarzt und Geburtshelfer aus Renningen, zugleich seit 1918 auch Renninger Ehrenbürger. An ihn erinnert in Renningen der Ernst-Bauer-Platz sowie eine Gedenkstein. Er trug sich am in das Gedenkbuch ein.

Eugen BOLZ

*15.12.1881 in Rottenburg am Neckar, † 23.01.1945 in Berlin-Plötzensee. Bolz war Jurist und Politiker der Zentrumspartei und von 1928 bis 1933 württembergischer Staatspräsident. Der letzte württembergische Staatspräsident wurde nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 am 12. August 1944 verhaftet. Am 21. Dezember 1944 verurteilte ihn der Erste Senat des sogenannten Volksgerichtshofes unter Roland Freisler wegen „Aufforderung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“ zum Tode. Bolz starb am 23. Januar 1945 unter dem Fallbeil. Er besuchte Weil der Stadt mit weiteren Mitgliedern der Zentrumsfraktion am 01. August 1918

Auch zahlreiche internationale Gäste waren zu begrüßen – es finden sich unter anderem Einträge zu einem Friedrich SAUTER, San Jose de Costa Rica, auch aus London sind mit Basil KILLINGBECK und Edward Wilson LLOYD Einträge zu entdecken. Beispielhaft für die internationalen Besucher soll der Eintrag eines Julius Schirott aus dem Oktober 1910 vorgestellt werden:

Julius SCHIROTT

* 12.04.1867 in Weil der Stadt, † 01.09.1913 in Mount Vernon, New York, USA. Schirott wanderte 1884 nach Nordamerika aus. Er lernte dort den Beruf des Apothekers und betrieb von 1903 bis 1910 einen „drugstore“ in Brooklyn. Kurios ist dabei, dass die Zeitung New York Daily Tribune im Jahre 1900 über eine Anklage des Apothekers Schirott berichtete, da dieser „Gift“ in gewöhnlichen Bierflaschen verkauft habe. Schließlich verkaufte er die Apotheke, um nach Europa reisen zu können – im Oktober 1910 war er in Weil der Stadt und besichtigte die Altertumssammlung. Nach seinem Aufenthalt in der Heimat, über dessen Art und Dauer nichts bekannt ist muss er wieder in die USA gereist sein, wo er 1913 im Alter von nur 46 Jahren starb.

Es konnten keine exakten Informationen über eine Ehe oder direkte Nachkommen ausfindig gemacht werden. Allerdings erschien am 13.Januar 1914 in der Tageszeitung Daily Argus in Mount Vernon ein Aufruf einer Helen Schirott vom 18. 11. 1913, mit der Aufforderung, Ansprüche an den Verstorbenen bei ihr in der Park Avenue Nr.5 in Mount Vernon/ County Westchester, NY, vorzubringen.

Seine Mutter Maria Schirott geb. Eger (*07.02.1841 Nordstetten bei Horb, † 17.02.1920 in Weil der Stadt) ließ zur Erinnerung an den Sohn 1915 ein Feldkreuz errichten. Dieses befindet sich noch heute im Gewann „Betzenloch“ in Richtung Schafhausen[1].

Bei detaillierter Auswertung der unzähligen handschriftlichen und zum Teil auch etwas schwer zu entziffernden Einträgen dieses „Gedenkbuches“ sind sicherlich noch weitere interessante Persönlichkeiten des damaligen öffentlichen Lebens in Kultur, Politik und Wirtschaft, die Weil der Stadt Anfangs des 20. Jahrhunderts ihre Aufwartung machten zu entdecken.

 

[1] Für die Informationen zu Julius Schirott bedanke ich mich bei Brigitte Rothacker-Adler sowie Wolfgang Schütz für die bereitwillige Überlassung ihrer Rechercheergebnisse.