Wahl des Ortsvorstehers 1875

Archival des Monats

Die ins Stadtarchiv übernommenen schriftlichen Unterlagen der Verwaltung werden nach ihrer äußeren Form und nach ihrem Entstehungszusammenhang (bzw. nach ihrer Ämterherkunft) eingeteilt in die Hauptgruppen Urkunden, Bände, Rechnungen und Akten. Die Akten wiederum werden in der zur Zeit ihrer Entstehung gültigen Aktenordnung übernommen und in dieser Ordnung im Archiv verzeichnet. Solange die Akten noch nicht erschlossen sind, sind sie über ihre Aktenplannummer und den im Aktenplan ausgewiesenen Betreff zugänglich. Allein für die Akten Weil der Stadts bis 1975 gibt es vier Aktenschichten. Die vorliegende Akte wurde nach dem Flattich-Aktenplan geordnet, der 1928 für die württembergischen Gemeindeverwaltungen eingeführt und in Weil der Stadt bis 1970 angewendet wurde, bis er durch den moderneren Boorberg-Aktenplan, erstmals 1965 aufgelegt, abgelöst wurde.

Im Jahr 1875 starb Stefan Beyerle, der 10 Jahre lang Stadtschultheiß von Weil der Stadt war. Als Nachfolger wurde sein Sohn Hugo Beyerle, damals Stadtschreiber in Weil der Stadt und gerade erst 23 Jahre alt geworden, von den Bürgern der Stadt gewählt und anschließend vom König lebenslang ernannt. Hugo Beyerle blieb Ortsvorsteher bis April 1917, als er aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurücktrat und kurz darauf verstarb. Hugo Beyerles Nachfolger, zugleich auch sein Schwiegersohn war Hermann Schütz, der 1918 gewählt wurde und bis Kriegsende 1945 im Amt blieb. 1930 wurde der Schultheiß in Bürgermeister umbenannt. Ein Erlass des Leonberger Oberamtmanns Goll an den Weil der Städter Gemeinderat regelte die Präliminarien der Wahl und legte unter anderem den Wahltermin fest. Die Wähler konnten einem beliebigen Bürger der Stadt ihre Stimme geben, ohne dass es eine offizielle Kandidatenliste gegeben hätte. Es gab bei dieser Wahl allerdings kaum geeignete Kandidaten außer Beyerle, der eine Verwaltungsausbildung absolviert hatte und nach dem Tod des Vaters Schultheißenamtsverweser war.

Der Akte liegt eine Ausgabe des Wochenblatts vom 7. November 1875 bei, in welcher die Bürger über den Wahlablauf und über die Aufgaben eines Stadtschultheißen informiert werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Redakteur Xaver Beyerle sich offen für die Wahl des Hugo Beyerle einsetzt.

 

Transkription

An den Gemeinderath Weilderstadt
Nachdem durch den Tod des Stadtschultheißen Beyerle die Ortsvorstehers-Stelle von Weilderstadt erledigt worden ist, wird zur Wahl eines neuen Stadtschultheißen Tagfahrt auf Samstag, den 13. November d.J. anberaumt. An diesem Tage morgens 9  Uhr haben sich die bürgerlichen Collegien auf dem Rathhause zu versammeln, damit sich der Oberamtmann mit denselben über das, was bezüglich der Besoldung, Instruktion usw. zu erinnern zu beschließen sein dürfte, besprechen kann. Sodann wird die Bürgerschaft versammelt werden, um über die Wichtigkeit und Form der Wahl belehrt zu werden. Die Wahlhandlung selbst beginnt morgens 9 ¼ Uhr und endigt mittags 12 ¼ Uhr. Die Wählerliste ist von dem ältesten Gemeinderath, Hospitalpfleger Beyerle unter Zuziehung des Gemeindepflegers, des Obmanns des Bürgerausschusses und des Rathschreibers in alphabetischer Ordnung anzulegen und von denselben zu beurkunden.

Behufs richtiger Abfassung der Wählerliste wird auf die Artikel 1, 2 und 3 des Gesetzes vom 6. Juli 1849, betreffend einige Änderungen der Gemeindeordnung, auf den Normalerlaß des Königlichen Ministerium des Innern vom 23. Juli 1849 (2. Ergänzungsband zum Regierungsblatt S. 192 und folgende) und auf den Artikel 2 des Gesetzes vom 7. März 1873, betreffend die weitere Herabsetzung des Alters der Volljährigkeit hingewiesen. Die Vornahme der Wahl sowie des Zeitpunktes der Eröffnung und des Schlusses der Wahlhandlung ist mindestens 8 Tage zuvor in der Gemeinde öffentlich bekannt zu machen, auch ist die Wählerliste von dieser Bekanntmachung an bis zum Schlusse der für Einsprachen anberaumten Frist auf dem Rathhause zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Zugleich ist in der Gemeinde öffentlich bekannt zu machen, daß die Wählerliste zur allgemeinen Einsicht auf dem Rathhause aufgelegt sei und daß etwaige Einsprachen gegen dieselbe binnen der Frist von 5.-11. November bei dem Gemeinderath anzubringen seien.Den Empfang dieses Erlasses hat der Gemeinderath in Bälde zu bescheinigen und über den Vollzug obiger Ordnungen vor der Wahl gehörigen Nachweis zu liefern.

Leoberg, den 18. Oktober 1875

Königliches Oberamt Goll